Still und heimlich hab ich mich in den Koffer geschlichen. Nicht, dass die Buchstabentante noch vergisst, mich einzustecken. Schließlich hat sie, als sie mich dieses Jahr aufgenommen hat, behauptet, ich sei ihr Maskottchen.
„Itsy Bitsy Spiderschwein“, hat sie gesagt, „du musst mir Glück bringen.“ Und wie könnte ich das, wenn ich nicht dabei wäre.
Die Fahrt hab ich verschlafen. Erst das Geruckel machte mir klar, wir sind endlich da. Und Spinnenbein und Hexennase, was war das denn für ein Ort? So etwas Heimeliges hab ich noch nie gesehen. Überall standen Schädel, in denen sich meine Verwandten bestimmt spinnenwohl fühlten, alles war fantastisch geschmückt, mit Kerzenleuchtern, roten Deckchen, und allem, was das Gruselherz begehrt. Alte Uhren habe ich ticken gehört, und dann war da ein geheimnisvoller Vorhang, hinter dem sich etwas zu verstecken schien.
Die Zweibeiner, die hektisch durch die Gegend liefen, begrüßten die Buchstabentante fröhlich und sehr herzlich und zeigten uns den Sessel, in dem sie sitzen und lesen sollte. Aber am Outfit der Buchstabentante und der zertifizierten Meckerin (das ist ihre Bloggerfreundin) musste unbedingt noch was geschehen. Nicht falsch verstehen, meine Buchstabentante hat schon ganz brav schwarze Sachen getragen, wie sich das für echte Gruseleien auch gehört, aber mit der Extravaganz dieser phantastischen Atmosphäre konnte sie noch nicht mithalten. Ein schwarzer Mantel mit hohem Kragen, ein Zylinder und etwas Blut im Gesicht haben da aber Abhilfe geschaffen.
Die Zweibeiner unterhielten sich in all der Hektik immer wieder mit der Buchstabentante, aber da hab ich mir gar nicht weiter Kopf zu gemacht. Stattdessen habe ich mir einen guten Platz gesucht, von dem aus ich das Spektakel gut beobachten konnte: Genau auf dem Tisch, wo die Buchstabentante und die Meckerin sitzen sollten. Während die Zweibeiner mit den anderen geredet haben und die Einrichtung bestaunt haben, hab ich noch schnell meine Fäden gesponnen, vielleicht konnte ich im Verlauf des Abends noch ein paar Menschen in mein Netz ziehen.
Als die 19. Stunde geschlagen hatte, wollten die Gäste rein. Schnell wurden die Buchstabentante und ihre Freundin angewiesen, sich tot zu stellen und dann stürmten die Menschen herein. Was ein Glück, dass ich mich nicht totstellen musste. Da waren so viele, ich hörte was von 32 murmeln, und einige von ihnen kamen bereits verkleidet. Als Geister. Wow, sahen die gut aus.
Die Gruseleummenschen waren nun auch alle fein zurecht gemacht. Martina Minkner, die Besitzerin, hatte sich in die Hexe Esmeralda verwandelt, dann waren da noch die Magierin, die das Rahmenprogramm gestaltete, der Clown, der sich gemeinsam mit der Zombiedame in den geheimen Bereich zurückgezogen hatte sowie Bloody Mary, die der Hexe und der Magierin half, die Gäste zu bedienen.
Einige der Gäste wurden nun auch verkleidet, eine war von adligem Geblüt und sollte eine soundso von soundso sein (es tut mir leid, aber diese komischen Menschennamen sind für eine kleine Spinne wie mich wirklich schwer zu merken). Die Buchstabentante und die Meckerin waren immer noch tot.
Hexe Esmeralda stellte sich und das Gruseleum vor und erklärte zuallererst jedem, wie sie in mühevoller Kleinarbeit den Hexentrank hergestellt hatte, den jeder zur Begrüßung bekam. (Aber ich verrate euch nicht mehr, außer das eben echte Hexenzutaten darin waren und die rote Farbe vom Zerquetschen der Ingredienzen mit den großen, nackten Hexenfüßen kam). Habt ihr gewusst, dass das Gruseleum nicht nur auf dem Grund und Boden einer ehemaligen Kirche steht, sondern dort früher eine Mühle stand? Und was für Geister dort leben. Schöner, als der Friedhof, auf dem ich sonst so zuhause bin. Esmeralda erzählte uns jedenfalls von den Dingen. Dann kam die Suppe (mit echten Tomaten aus dem eigenen Hexengarten) und endlich durften die Buchstabentante und ihre Freundin wieder leben. Also ich hab sie ja nicht gegessen, aber allem Anschein nach musste die Suppe köstlich gewesen sein, einige haben gar einen Nachschlag genommen. Und wer nicht, der wurde mit einem finsteren Hexenblick bedacht und gefragt, ob es denn nicht schmecken täte. (Mit einem Zwinkern in der Stimme). In der Suppe mussten außerdem Feueralgen gewesen sein, sie heizte doch ordentlich ein. Bloody Mary machte ihrem Namen Ehre, so grimmig zu reden, muss man erst mal schaffen, das ist echte Spinnenkunst. Ich war sehr beeindruckt und die leuchtenden Augen trugen noch zum Gruseleffekt bei.
An unserem Tisch saßen sehr nette Leute. Wirklich lustig war, dass der eine in Bonn aufgewachsen war (er hatte ne Glatze und hat von der Magierin direkt einen Kopfschmuck bekommen, ein Gehirn, von daher war er „The Brain“) und zwei andere kamen aus Oberhausen (die Welt ist eben nur ein großes Spinnennetz, und alle Fäden miteinander verbunden). Der Oberhausener wurde im Verlauf des Abends zu Graf Dracula. Und kaum war er
zurück, erschienen auch schon die Bissspuren auf dem Hals seiner Freundin. Dann saßen bei uns am Tisch noch die drei Begleiterinnen des Brains, davon die soundso von soundso.
Als die Suppe vernichtet und die ersten Getränke bestellt waren (die Buchstabentante hat Ziegenpisse getrunken, und doch glatt behauptet, es wäre nur Apfelsaft), verschwand die erste Gruppe im geheimen Raum. Jetzt wurde es richtig schön: Schreie der Zweibeiner und gewaltiges Klopfen hallte durch den ganzen Raum und alle fürchteten sich. Ach was ging mein kleines Spinnenherz mir auf. Derweil erzählte die Magierin mit ihrer wunderbaren Stimme Geschichten über Geschichten, die den Gästen eiskalte Schauer über den Rücken jagten. Mal hoch, mal tief, gefährlich und freundlich, was diese Frau mit ihrer Stimme kam, hätte ich nicht meine Buchstabentante würde ich glatt bei ihr einziehen.
Die Gruppe kam aus dem geheimen Raum wieder heraus, entgegen aller Erwartung vollständig, auch wenn ich schwören könnte, einige waren weißer im Gesicht als vorher.
Der Salat wurde serviert und nach weiteren Verwandlungen der Gäste (eine wurde zur Seelenfresserin), kam der große Augenblick. Außer mir hat es wahrscheinlich (hoffentlich) keiner gemerkt, aber der Pulsschlag der Buchstabentante verdreifachte sich. Bis sie aufstand und anfing zu reden (natürlich nach einer gruseligen Ankündigung der Magierin). Plötzlich hatte sich die Welt aufgehört zu drehen und ich hörte die Freude in der Stimme der Buchstabentante, die zur Erzählerin mutiert war. Hat von euch schon einmal jemand in der Erde gebuddelt und Zeitkapseln gefunden? Doch was, wenn Zeitkapseln was ganz anderes sind, nämlich echte Tabletten? Von Emma und ihrer Geschichte erfuhren die Gäste nun, und wer mehr wissen will, soll sich mal schön an meine Buchstabentante wenden. Ich jedenfalls werde den Teufel tun, und davon jetzt berichten. Aber es sei noch gesagt, dass ich doch sehr zufrieden zugesehen habe, wie gebannt die Zweibeiner zugehört haben.
Nach der Lesung schlich ich mich unter den Zylinder, weil ich unbedingt mit in den geheimen Raum wollte. Soll ich euch verraten, was ich dort alles gesehen habe?
Hexenkessel, Skelette, Zombies und Särge, aber mir fehlen die richtigen Worte, um das alles zu beschreiben. Die Beleuchtung, oh… lasst es mich so formulieren, würde ich mir ein Netz bauen, genau dort müsste es sein, von einem Sarg zum nächsten gespannt und dann würde ich aufpassen, ob die Zweibeiner auch schön brav ihre Seelen wieder freikaufen. Der Clown war der Beste. Er erschreckte nach allerfeinster Gruselart, stürzte sich auf uns, wollte unser Freund werden, doch wer würde jemandem mit einer solchen Lache schon vertrauen?
Durch das Labyrinth geschickt, stolperten wir durch die Dunkelheit, wichen den Händen aus, die nach uns griffen und uns festhalten wollten. Aber wir kamen wieder raus. Das war auch gut so, denn ich hätte die Geschichten der Magierin nicht verpassen wollen, ebenso wenig wie den Geruch des herrlich selbstgemachten Pestos auf den Nudeln, die den Zweibeinern gereicht wurden.
Die Buchstabentante und die Meckerin unterhielten sich jede Menge mit den anderen Zweibeinern am Tisch. The Brain, Dracula und seine Freundin (die übrigens im Lauf des Abends aneinander gekettet wurden, also die zwei letztgenannten) waren aber auch wirklich nett. Das war eigentlich das Schönste. Die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten einen faszinierenden Abend zu verbringen. Wir liefen noch einige Male durch den geheimen Raum, unter anderem wurde eine von unserem Tisch dort eingesperrt und wir mussten sie wieder frei singen (habt ihr schonmal ein wirklich gruseliges Alle meine Entchen gehört?). Auch der Nachtisch wollte dort gefunden werden, den hatte nämlich der Clown versteckt.
Es wurden Bilder mit den wunderbaren, verkleideten Menschen gemacht, viel gelacht, viel gegruselt, inspirierende Geschichten erzählt (da hatte ich dem Bücherwurm, der sich aus lauter Angst im Koffer versteckt gehalten hat ganz schön was zu berichten) und lecker gegessen (machte zumindest den Anschein).
Am Ende hat die Buchstabentante versucht, mit jedem Gast noch kurz zu sprechen und als sie mir verraten hat, wie viel Lob sie bekommen hat, wie begeistert die Menschen waren, da sind mir doch glatt kleine Spinnentränen gekommen. (Verratet das ja nicht dem Bücherwurm). Und das die Zeitkapselgeschichte ein wenig zu lang gewesen ist, das ist dafür, dass es die erste Lesung im Gruseleum war, wohl nicht so schlimm gewesen. Abschließend möchte ich kurz noch den Dank der Buchstabentante überbringen (darum hat sie mich ausdrücklich und mehrfach gebeten, damit ich das ja nicht vergesse). Sie sagt, dass es ein wunderbarer Abend war, es sie überglücklich gemacht hat, mit den Schauspielern dort gemeinsam
ein geschichtenreiches, mystisches Dinner zu gestalten, die Menschen unwahrscheinlich nett waren und sie unbedingt dort wieder hin will, um so etwas wieder zu machen.
Ein riesiges Dankeschön vor allem natürlich an Frau Minkner, aber auch die anderen die da waren, an die Gäste und auch an Sabine, die Meckerin, ohne die all das gar nicht erst zustande gekommen
wäre. Und wenn ihr euch auch einmal so richtig gruseln und einen Abend mit Freunden in einer schaurig schönen Atmosphäre verbringen möchtet, dann fahrt nach Hooksiel und besucht das Gruseleum.
Glaubt mir, ich konnte mit meinem spärlichen Spinnenwortschatz gar nicht richtig zum Ausdruck bringen, wie genial es dort war.
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